Interview zum Jahreswechsel

Veröffentlicht auf von Joachim Vogl

Heute, zwei Tage später als ursprünglich geplant, im Starnberger Merkur:

 

Etterschlag – Heimlich, still und leise verabschiedete sich Joachim Vogl im Herbst von der nationalen Bühne des Schießsports. Inzwischen ist der mehrfache Deutsche Meister zu seinen Wurzeln zurückgekehrt und nimmt im Rundenwettkampf für seinen Heimatverein SG Eintracht Etterschlag die Scheiben aufs Korn. Im Interview mit Christian Heinrich spricht der 39-Jährige über eine lange Karriere, sein neues Leben als Hobbyschütze und den Tribut, den sein Körper für den Leistungssport entrichten musste.

 

Herr Vogl, es ist Silvester und ein neues Jahr liegt vor uns. Lassen Sie uns mal orakeln: Warum wird es für Sie ein gutes?
Weil nach jedem Tief auch wieder ein Hoch kommt. Nein, so schlecht war das Jahr 2012 nun auch wieder nicht, aber ich hoffe, dass das Jahr 2013 deutlich besser wird. Zum vergangenen Jahreswechsel bekam ich einen Flyer, der bei mir an der Wand hängt und auf dem da steht: ,2012 wird mein Jahr.‘ Nachdem es das aber nicht war, habe ich heute Nacht vor, diesen Flyer zu verbrennen und damit einen symbolischen Neuanfang zu setzen. Während die Menschen um mich herum dann ein Glücksschwein oder ein vierblättriges Kleeblatt in den Händen halten, werde ich mit leeren Händen und einem zuversichtlichen Lächeln dastehen.

 

Was macht Sie da so sicher?
Erstmals seit vielen, vielen Jahren brauche ich mir keine Gedanken mehr um mein sportliches Vorankommen zu machen. Da meine sportliche Karriere so gut wie beendet ist, kann ich mich anderen Bereichen viel mehr widmen als bisher. Vor allem meine Familie wird davon profitieren. Das macht mich und drei weitere Vogls schon jetzt richtig froh. 

 

            Silvester 2012

 

Entspannt und ohne Leistungsdruck geht Joachim Vogl mit seiner Frau Peggy
und den Söhnen Joshua (l.) und Jadon ins neue Jahr. Damit es ein glückliches wird,
erhilt seine Familie an Silvester Unterstützung von Schornsteinfeger Jens Würden
aus Gilching
.
Foto: Peter Vogl  

 

Sportlich hat sich bei Ihnen schon 2012 einiges verändert. Sie schießen nicht mehr für den Bund München in der Bundesliga, sondern für ihren Heimatverein SG Etterschlag. Welche Faszination übt der Rundenwettkampf auf Gauebene in der D-Klasse auf Sie aus?
Die familiäre Atmosphäre beim Rundenwettkampf ist schon etwas ganz Besonderes. Nach unserem Wettkampf gegen Inning saß ich beispielsweise den ganzen Abend mit  unseren Gegnern am Tisch und wir unterhielten uns stundenlang über Gott und die Welt. In der Luftgewehr-Bundesliga wäre das in dieser Form völlig undenkbar, weil der Druck auf die Athleten da viel größer ist. Auf Gauebene schießen die Leute noch, weil es ihnen Spaß macht und nicht, um Deutscher Meister zu werden. Und das ist nicht die schlechteste Motivation.

 

Bisher schlagen Sie sich achtbar. Wird es nicht langweilig für Sie, wenn Sie gut 30 Ringe mehr als ihre Gegner schießen?
Es ist für mich nicht entscheidend, besser als meine Kontrahenten zu sein. Jeder gibt hier sein Bestes und schießt, was er kann. Für  jeden Schützen geht es bei den vier Serien in erster Linie darum, möglichst das Optimum von 400 Ringen zu erreichen. Daran müssen wir uns messen. Das ist in der D-Klasse nicht anders als in der Bundesliga. Bisher ist mir das mit 395,33 Ringen im Schnitt recht passabel gelungen, aber perfekt ist das noch lange nicht.

 

Ihr ehemaliger Verein, der Bund München, steht in der Bundesliga auf dem vorletzten Rang. In der augenblicklichen Verfassung wären Sie eine große Hilfe. Juckt es da nicht in den Fingern?
Ich fühle mich selbst ein wenig hin- und hergerissen. Zum einen leide ich mit meinen ehemaligen Kollegen, zum anderen stelle ich zu meinem Erstaunen fest, welche Distanz ich in den vergangenen Monaten zum aktuellen Geschehen in der Bundesliga entwickelt habe. Bisher war ich noch bei keinem einzigen Kampf meiner ehemaligen Mannschaft, obwohl die innere Verbundenheit nach wie vor sehr groß ist. Aber mein Leben hat sich verändert. An manchem Bundesliga-Wochenende war ich mit meinem Vater im Wald, um Holz für den Winter zu machen oder mit der Familie im Ausland im Urlaub. Nur wenn ich wirklich Zeit habe und daran denke, sitze ich vor dem Computer und verfolge über den Internet-Liveticker das aktuelle Geschehen. Es mag komisch klingen, aber nach so langer Zeit in der Bundesliga vermisse ich wirklich nichts.

 

Ihr Abschied vom Leistungsschießen vollzog sich im September in aller Bescheidenheit ohne große Resultate. Haben sie den richtigen Zeitpunkt fürs Aufhören verpasst?

Das habe ich mich auch schon oft gefragt. Wirklich gute Ergebnisse bei den Meisterschaften oder in der Bundesliga hatte ich in den beiden vergangenen Jahren kaum vorzuweisen. Insofern hätte ich früher zurücktreten dürfen, um mir das Ganze zu ersparen. Aber das sagt sich so leicht. So lange man noch Ehrgeiz und Hoffnung besitzt, glaubt man, dass man wie früher aus schwachen Phasen wieder gestärkt hervorgeht. Wenn so ein Durchhänger jedoch zwei Jahre andauert, ist es an der Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen.

 

Dass es mit ihren Leistungen abwärts ging, deutete sich schon seit geraumer Zeit an. Warum fiel es Ihnen so schwer, auf die Signale Ihres Körpers zu hören?
In 20 Jahren Leistungssport habe ich es gelernt, den Körper mit dem Kopf zu steuern und Schmerzen zu verdrängen. Irgendwann lässt sich der Körper aber nicht mehr vom Willen beherrschen. Mit knapp 40 Jahren konnte ich mir zunächst nicht vorstellen, dass es schon so weit ist. Zudem gehört eine gewisse Sturheit zu meinen Charaktereigenschaften, die mich einerseits weit getragen hat, andererseits auch hindert, mich neuen Dingen zu öffnen. Letztlich ist es wie fast überall: Erst wenn der Leidensdruck zu groß geworden ist, beginnt man zu handeln.

 

Sie haben lange gebraucht, um sich vom Leistungssport zu verabschieden. Was mussten Sie tun, um die Kunst des Loslassens zu erlernen?
Als ich im Februar aus der Luftgewehr-Bundesliga ausstieg, bedeutete dies den Anfang vom Ende. Natürlich war mir das zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst, aber innerhalb des folgenden halben Jahres kristallisierte  es sich heraus, dass ich künftig auch bei Meisterschaften nicht mehr antreten werde. Das Ganze war weniger ein Lernprozess, sondern mehr das Bewusstwerden, die Zeichen der Zeit nicht länger zu ignorieren. Der Schritt zurück war dann die einzig logische Konsequenz.

 

Eine entfernte Kollegin von Ihnen, Magdalena Neuner, hat mit 25 Jahren Schluss mit dem Leistungssport gemacht. Hätten Sie sich das auch für sich vorstellen können?
Nein überhaupt nicht, da ich meine größten Erfolge erst nach dem 25. Lebensjahr feiern durfte und auch immer über einen langen Zeitraum erfolgreich sein wollte.

 

In Magdalena Neuners sportlichen Lebenslauf gibt es keine weißen Flecken. Sie selbst waren zwar auf Weltmeisterschaften, aber nie bei Olympia. Wie sehr hat das an Ihnen genagt?
Die Olympischen Spiele 1996 in Atlanta waren für mich ein realistisches Ziel. Dass ich in der Qualifikation dafür mit dem Luftgewehr knapp gescheitert, hat natürlich eine Narbe hinterlassen. Ich wusste allerdings damals schon, dass es sich nicht lohnt, jedes Ziel auf Biegen und Brechen zu verfolgen. So habe ich mich Ende 1997 ganz bewusst gegen die Fortführung meiner internationalen Karriere im Gewehrbereich entschieden und bin damit gut gefahren. Mir blieb so einiges erspart.

 

Hört man deshalb nicht auf, weil man sich sagt, es fehlt noch etwas, ich habe noch nicht alles erreicht?
Olympia ist ein Fall für sich und steht sicher auf einem anderen Blatt. Das soll nicht bedeuten, dass ich mich im Nachhinein zurücklehne und sage, es war alles so, wie ich es mir gewünscht habe. Mich beseelte immer die Hoffnung, einmal Armbrust-Weltmeister in der Einzelwertung zu werden – das war sicher die treibende Kraft hinter meinem Ehrgeiz. Obwohl ich keinen Grund habe, mit dem Vize-Weltmeistertitel von 2008 unzufrieden zu sein, bleibt etwas, von dem ich sagen muss, du wirst es in deinem Leben wohl nicht mehr erreichen.

 

Sie klagen über permanente Rückenschmerzen, die wohl eine Folgeerscheinung ihres Sports sind. Haben Sie den Gesundheitsaspekt während ihrer Karriere zu sehr ausgeblendet oder fehlt bei Sportschützen ein entsprechender Trainingsaufbau?
Die körperlichen Probleme begannen erst nach der Armbrust-Weltmeisterschaft 2008 – da war ich 35 Jahre alt. Bis dahin hielt ich mich überwiegend mit Lauftraining fit. Besser wäre gewesen, wenn ich ergänzend dazu ganz gezielt meine Rückenmuskulatur gestärkt hätte. Von Verbandsseite wurden wir meiner Meinung nach nicht ausreichend für dieses Thema sensibilisiert. Zwar gab es bei den Kaderlehrgängen stets Gymnastikeinheiten, doch es wäre wichtig gewesen, explizit darauf hinzuweisen, dass regelmäßiges Training der Rückenmuskulatur parallel zum Schießsport unerlässlich ist, um keine Folgeschäden davonzutragen. Das muss ich nun selbst nachholen. Ich habe aber  die Hoffnung, irgendwann wieder vollständig schmerzfrei leben zu können, aber bis dahin werden wohl auch noch ein paar Jahre vergehen. Wenn überhaupt. 
 
Nach all den Jahren im Leistungssport fällt es schwer, in Ihnen nur noch den braven Schützen auf Gauebene zu sehen. Gibt es Pläne für ein Comeback?
Die Wahrscheinlichkeit auf ein Comeback halte ich für äußerst gering – da sprechen einfach zu viele Faktoren dagegen. Außerdem bleiben mir dafür nur noch gut fünf Jahre Zeit, denn ein Comeback in der Altersklasse macht für mich keinen Sinn mehr. Wer es bis dahin nicht geschafft hat, Erfolge einzufahren, macht sich meiner Meinung nach unglaubwürdig. Ich fühle mich im Rundenwettkampf auf Gauebene wirklich sehr, sehr wohl und keineswegs deplatziert, wenngleich ich in dieser Klasse momentan überdurchschnittliche Ergebnisse erziele.

 

Manche Sportler sind nach einer Auszeit noch einmal mit frischem Elan zurückgekehrt. Beschäftigt Sie dieser Gedanke, es sich noch einmal selbst zu beweisen?
Wenn Leistungssportler so wie ich in die Jahre kommen, sollten sie besser rechtzeitig aufhören. Ich glaube, dass ich mir mit einem Comeback keinen Gefallen tun würde und dass es meine bisherigen Erfolge, die ich mir in den vergangenen 20 Jahren mühsam erarbeitet habe, verblassen ließe.

 

Auf Gauebene gibt es auch noch Ziele. Wir warten sehnsüchtig auf den ersten Schützen, der in der D-Klasse die 400 Ringe vollmacht. Wann ist es denn so weit?
Am 21. Dezember 2012 ist die Welt auch nicht untergegangen, obwohl dies der Maya-Kalender vorhergesagt hat. Insofern bin ich vorsichtig was die Prognosen für 400 Ringe in der D-Klasse anbelangt. Zumal ich davon ausgehe, dass wir nach Saisonende in die C-Klasse aufsteigen und ich damit nur noch vier Mal die Gelegenheit habe, in der Rückrunde 400 Ringe zu schießen. Aber prinzipiell ist die Vorstellung nicht unrealistisch, da ich dieses Resultat zuletzt vor fast genau zwei Jahren beim Vereinsschießen der SG Eintracht Etterschlag erzielt habe.

 

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